Die
Nordhelle ein Ort mit Vermessungstradition
Trigonometrischer
Punkt von 1812 wiedergefunden.
Die Nordhelle bei Herscheid (663m ü.NN) ist die höchste Erhebung des Märkischen Kreises. Von altersher wurden die Menschen von besonders hohen Bergen oder anderen Naturerscheinungen in ihren Bann gezogen.Schon in der Bronzezeit haben die Menschen diesen Berg verehrt, was durch die Anlage von Gräbern auf seiner Höhe zum Ausdruck kam. Die dort bestatteten Menschen sollten einen weiten Blick über ihre Heimat haben. Bei Bauarbeiten wurde 1936 ein Bronzebeil gefunden, das heute im Museum auf der Burg Altena aufbewahrt wird. Der zugehörige Grabhügel dürfte unerkannt den Bauarbeiten zum Opfer gefallen sein.
Auch
die Landvermesser benutzten die Nordhelle als Standort von Signalen
für ihre Vermessungstätigkeit.
Der Schwelmer Pastor
Müller ließ nach 1789 für seine trigonometrischen
Arbeiten zur Herstellung einer Karte der Graftschaft Mark dort ein
Signal errichten.
Nun
muß ich ein wenig ausholen, um darzustellen, wie mein Interesse
an diesen alten Dreiecksmessungen geweckt wurde.
1979 habe ich
meinen Wohnsitz nach Herscheid verlegt. Als geschichtlich
Interessierter habe ich dann ein wenig mehr von meiner neuen Heimat
wissen wollen. Hilfreiche Nachbarn konnten mit Herscheids
Standardwerk Die Geschichte der Gemeinde Herscheid gleich
den richtigen Weg weisen. Die Probleme fingen aber damit an, dass man
als Vermessungsmann gern eine Karte zu Hilfe nimmt, um die
besprochenen Örtlichkeiten lokalisieren zu können.
Da
bestand ein Manko. Die Situationskarte von 1812 sowie ein Auszug aus
dem Urkataster von 1830 waren nicht sonderlich ergiebig.
Ich
wollte daher eine Karte von
Herscheid, die auf der Grundlage der preußischen
Katastervermessung von 1830 erstellt wurde, ins heute übliche
Gauß-Krüger-System überführen. Als Überdeckung
der Deutschen Grundkarte sind damit direkte Vergleiche 1830/1988
möglich.
Nun wird mancher Leser sagen: Was sind schon
165 Jahre. Ich glaube aber, dass gerade in dieser Periode das Bild
unserer Landschaft so verändert wurde, wie dies die
davorliegenden 1000 Jahre nicht vermochten. Insofern ist ein
Vergleich mit den heutigen Verhältnissen von besonderem Wert. An
dieser Stelle möchte ich auf die freundliche Unterstützung
durch den Leiters des Katasteramtes des Märkischen Kreises,
Herrn Ulrich Schulte hinweisen, der mir gestattete, die alten
Katasterunterlagen (Karten und Bücher) auszuwerten.
Vor der Realisation galt es aber einige fachliche Probleme zu lösen.
Kartengrundlage
Wenn
man als Wanderer oder Autofahrer einmal vom Weg abgekommen ist, hilft
ein Blick auf die mitgeführte Karte den richtigen Weg zu finden.
Über die Entstehung der Karte wissen nur Eingeweihte etwas näher
Bescheid. Man wird kaum vermuten, dass sich wesentliche Teile des
heutigen Kartenbildes auf Vermessungen stützen, die ab 1823
anläßlich der preußischen Katastervermessung und
Landesaufnahme ausgeführt wurden.
Davor hatte man Jahrhunderte lang die Landkarten auf wenig astronomisch bestimmte Orte basiert. Die weiteren Details wurden nach Schrittmaßen, Reisezeiten oder Ähnlichem hinzugefügt. Die Unzulänglichkeiten dieser Karten führte im 17. Jahrhundert zu der Ekenntnis, dass nur Karten, die auf der Grundlage von Dreiecksmessungen entstanden sind, den wachsenden Ansprüchen, besonders der Militärs, gerecht werden können.
Dreiecksmessungen
Erste
Anwendungen einer Dreiecksmessung gehen auf den Holländer
Snellius zurück der 1617 eine Triangulation
ausführte.
Frankreich übernahm danach eine
Vormachtstellung. Hier sind besonders die Arbeiten einer Gradmessung
zwischen Barcelona und Dünkirchen zu nennen, die der Bestimmung
der Erde dienen sollte und in der Festlegung des Metermaßes
(Urmeters) gipfelten.
Im hiesigen Raum dauerte es bis 1789, ehe der Schwelmer Pastor Müller (1751-1808) für die Anfertigung einer Karte der Grafschaft Mark ein Dreiecksnetz legte. Dabei wurde auf der Nordhelle erstmals ein Signal aufgebaut um Winkelmessungen dorthin zu ermöglichen.
Neben dem Wunsch der Militärs nach genauen Karten, war die gerechte Verteilung der Steuern und Kriegslasten durch eine Neuordnung des Katasters, nach französischen Vorbild, die Triebfeder zu weiteren Dreiecksmessung im Herzogtum Westfalen.
Aus diesem Grund wurde 1809 der Astronom Eckhardt (1784-1866) von der großherzoglich-hessischen Regierung mit der Katasteraufnahme im Herzogtum Westfalen betraut. Als Grundlage für die Detailaufnahme, für eine Gradmessung, sowie für die Herstellung eines Kartenwerkes plante er ein Dreiecksnetz, das von Darmstadt bis Lippstadt reichte. In Darmstadt war 1808 eine Basis von 6570m gemessen worden. Die Basis lag in der Verbindung der Kirchtürme Darmstadt und Griesheim und sollte den Maßstab des Netzes liefern. Die Längen der Dreiecksseiten sollten durch Netzvergrößerung davon abgeleitet werden. Da die Dreiecksseiten nicht selten 40 km maßen, vervielfältigten sich die Fehler der Basismessung entsprechend.
Auf
der Norhelle waren 1812 wieder Geometer zu beobachten, die Winkel für
diese Netz, zunächst provisorisch, beobachteten. Leider waren
die Messungen nicht besonders sorgfältig gemacht worden, sodass
im Herbst 1813 nachgemessen werden mußte.Für alle Punkte
wurden Koordinaten berechnet. Bezugspunkt war die Stadtkirche in
Darmstadt.
Als 1815/16 nach der französischen Herrschaft
Napoleons das Herzogtum Westfalen mit der Grafschaft Mark zum
preußischen Regierungsbezirk Arnberg zusammengeschlossen worden
waren, entschloß man sich, das wenig genaue Westfälische
Netz 1. Ordnung von 1812 zu überarbeiten.
1817
wurden die erforderlichen Winkelmessungen durchgeführt. Die
Dreieckspunkte wurden sämtlich durch Marksteine kenntlich
gemacht.
Für die Detailarbeiten müssen die Dreiecke 1.
Ordnung durch kleinere Dreiecke weiter unterteilt werden. Hierbei
sind die Dreiecksseiten dann je nach den örtlichen Verhältnissen
zwischen 1 und 10 km lang, dies sind Punkte der 2. Ordnung.
In der Zeit von 1812 bis 1816 ist unter der Leitung von Regierungsrat Eckhardt neben den Arbeiten im Netz 1. Ordnung ein Netz 2. Ordnung festgelegt und gemessen worden. Um das Netz günstig zu strukturieren, fand vor der Festlegung der Dreieckspunkte eine sorgfältige Erkundung statt.
Weitsicht
Die
besondere Leistung von Eckhardt besteht darin, dass er sämtliche
Dreieckspunkte für den späteren Gebrauch gesichert hat. In
flachen Gruben sind Pflasterungen von 0,7m x 0,7m aus Feldsteinen
angelegt worden. In der Mitte der Pflasterungen sind Platten von 0,2m
x 0,2m x 0,15m eingebracht worden, in deren Mitte sich ein Bohrloch
von 0,03m Durchmesser befindet.
Nach den Winkelmessungen 1812-1816
wurden die Gruben zugeschüttet, um die Punkte vor Zerstörung
zu bewahren. Erst 1817, im Zuge der Überarbeitung des
Dreiecksnetzes, wurden zusätzlich zu den unterirdischen
Vermarkungen Marksteine gesetzt. Wie sich später gezeigt hat,
sind nicht alle unterirdischen Vermarkungen aufgefunden worden.
Marksteine wurden an die vermutete Stelle gesetzt.
In die Preußische Katastertriangulation von 1830 wurden für die Triangulation der Gemeinde Herscheid die Dreieckspunkte Nordhelle 2 und der Punkt Rüthenhard der Dreiecksmessung im Herzogtum Westfalen in die Messung einbezogen. Neben der Kirche in Herscheid waren damit identische Punkte für eine Transformation in das Gauß-Krüger-Koordinatensystem gegeben. Die Schwierigkeit bestand nun darin, diese Punkte örtlich zu finden und im Gauß-Krüger-Koordinatensystem zu bestimmen.
Eine Suche auf der Nordhelle war zunächst erfolglos. Auf Rüthenhard fand ich einen Markstein vor. Aber eine Pflasterung oder Platte befand sich nicht unter dem Markstein. Also war nicht sicher, ob es sich um einen alten Dreieckspunkt handelte.
Etwa zur gleichen Zeit hatte der Leiter des Landesvermessungsamtes, Herr Rudolf Schmidt, nach den Marksteinen der Dreiecksmessung im Herzogtum Westfalen gesucht und auch etwa 10 % der Marksteine vorgefunden. Eine Überprüfung, ob die unterirdischen Festlegungen vorhanden waren, führte er nicht durch.
Da die notwendigen Dreieickspunkte für eine Transformation der trigonometrischen Punkte in Herscheid damit noch nicht zur Verfügung standen, begann ich mich für die Dreiecksmessung im Herzogtum Westfalen zu interessieren. Mein Interesse wurde zur Begeisterung, als ich auf dem Dreieckspunkt Reper Höhe tatsächlich eine Plasterung und Platte, sowie den Markstein vorfand.
Wenn ich die geplante Transformation der trigonometrischen Punkte in Herscheid schaffen wollte, mußte ich irgendwie die fehlenden oder noch nicht gefundenen Punkte berechnen um sie anschließennd suchen zu können.
Neue
Herausforderung
Wie sind die Dreieckspunkte ohne Markstein zu
finden ?
Neben den genannten Fakten war der Hinweis von Bedeutung,
dass es Akten mit Meßprotokollen dieser Dreiecksmessung geben
würde.
Nun begann ein Schriftwechsel mit den Hessischen und
Westfälischen Archiven. Leider waren die Akten dort nicht
auffindbar.
Bei einem meiner beruflichen Besuche des Vermessungsdezernates des Regierungspräsidenten in Arnsberg hatte ich Glück und fand im dortigen Archiv die alten Meßprotokolle in Abschrift der alten Originale. Hierfür ein besonder Dank an Herrn Wickel, der mich großzügig bei meinen Bemühungen unterstützte. Die Durchsicht der Berechnungsunterlagen ließ mich zweifeln, ob die durchgeführten Koordinatenberechnungen ohne Ausgleichung, die zum Aufsuchen nötige Genauigkeit bringen würde.
Tolle
Meßgenauigkeit
Aus den Protokollen der Winkelmessungen
ließen sich Genauigkeiten ableiten, die ich nicht erwartet
hatte und die die Hochachtung vor den Altvorderen enorm steigen ließ.
Mit diesen alten Meßergebnissen war die Voraussetzung zu einer
Neuberechnung der gesamten Dreiecksmessung gegeben. Glücklicherweise
waren bei späteren Triangulationen einige Marksteine im
Gauß-Krüger-System bestimmt worden, die als Stützpunkte
genutzt werden konnten.
Nun war es eigentlich nur eine
Fleißarbeit, die vielen Meßdaten der Winkelmessung für
eine Eingabe im Programm Katrin des LVA NRW aufzubereiten. Das Netz
2. Ordnung umfaßt rund 260 Punkte.
Ich möchte mir weitere Einzelheiten ersparen. Mit den neuberechneten Suchkoordinaten bewaffnet, mußte sich der erdachte Lösungsweg in der Praxis beweisen.Nun ich kann sagen, die Sache war ein Bombenerfolg ! Man steht schon ehrfürchtig vor einer Pflasterung mit Platte, die vor 175 Jahren letzmalig benutzt worden ist.Das Gefühl eines Archäologen beim Anblick eines besonderen Fundstückes wird ähnlich sein.
Messung
auf der Nordhelle 1813
Wenn ich vorher mit Hochachtung von der
Arbeit der Altvorderen gesprochen habe, möchte ich nun einige
Abmerkungen über das verwendete Instrument und die
Arbeitsabläufe machen. Die Winkelmessung im Netz 2. Ordnung auf
Nordhelle 2 wurde am 10.09.1813 mit dem Theodolit Nr. 25
der Werkstatt Rößler aus Darmstadt von Herrn Nörenberg
durchgeführt. Ein Bild des verwendeten Theodolits zeigt die
Abbildung.
Es
wurden die Winkel zwischen den Dreieckspunkten Rüthenhard,
Oesterhagen und Schladermark in beiden Fernrohrlagen gemessen. Die
Theodoliten waren speziell für diese Dreiecksmessung gebaut
worden und waren in den technischen Details der Zeit weit voraus.
Insbesondere das Messen in zwei Fernrohrlagen brachte eine
Elemination der Winkelfehler.
Laut Protokoll war das Wetter
heiter, die Luft durchsichtig und es ging ein leichter Wind. Die
Winkelmessung begann um 14:35 Uhr und dauerte mit einer einstündigen
Unterbrechung bis 18:30 Uhr. Die gemittelten Winkel ergaben zusammen
400,0018 Grad, was man als sehr gut bezeichnen kann. Diese Probe, die
man Horizontschluß nennt, wurde von wenigen Ausnahmen
abgesehen, überall durchgeführt. Man hatte damit gleich
eine Kontrolle für die Winkelmessung.
Für
Fachleute wird damit deutlich, dass die Teilung des Theodoliten in
400 Grad bei dezimaler Unterteilung betrug. Damit ließen sich
die Winkel einfacher rechnen als bei einer Kreisteilung mit 360 Grad,
60 Minuten und 60 Sekunden. Rechenfehler wurden damit ebenfalls
leichter vermieden.
Eines der bei dieser Dreiecksmessung
verwendete Instrument befand sich 1913 noch in Minden. Es sind daher
einige Details bekannt:
Kreisdurchmesser: 19,5
cm
Fernrohrvergrößerung: 5 fach
Nonien:
4
Kreisteilung: 400 Grad
Das Prinzip des Nonius werden viele
Leser von einer Schieblehre kennen. Der Kreis war in 800 Teile
geteilt.Mit Hilfe des Nonius ließen sich 25 Sekunden ablesen.
Die unvermeidlichen Teilungsfehler wurden durch die Ablesung der vier
Nonien kompensiert. Die Ablesegenauigkeit war nicht ausreichend,
bewirken z.Bsp. 25 Sekunden auf 10km eine seitliche Abweichung von
0,4m.
Die Instrumente hatten deshalb eine besondere Vorrichtung, die es möglich machte, den Winkel mechanisch zu addieren. Diese Art der Messung wurde Repetitionsmessung genannt. Auf der Nordhelle hat man die Winkel durch 10fache Repetition ermittelt.
Stunde
der Wahrheit
Am 6.4.1988, rd. 175 Jahre nach den o.g.
Ereignissen, kam nun der spannende Moment, der zeigen sollte, ob sich
noch Spuren der Vermessungstätigkeit auf dem Dreieckspunkt
Nordhelle 2 erhalten hatten.
Mit dem heutigen Trigonometrischen Punkt 1. Ordnung Nordhelle als Ausgangspunkt, wurde die Stelle im Gelände markiert, wo der Punkt nach meinen Berechnungen stehen müßte. Augenscheinlich war kein Hinweis zu finden, also war Grabungstätigkeit angesagt.
In ca. 70cm unterhalb der Geländeoberfläche stieß ich dann auf die alte Pflasterung. Da keine senkrechten Plattenbegrenzungssteine vorhanden waren, muß es sich um eine Unterplasterung handeln, die bei später untersuchten Punkten öfter zu konstatieren waren. Damit ließ sich der Dreieckspunkt Nordhelle 2 bis auf wenige Zentimeter Unsicherheit rekonstruieren. Ich habe dann eine Platte herstellen lassen, die ich mit der Jahreszahl 1988 versehen, neu in die Pflasterung eingebracht habe.
Die unterirdische Vermarkung soll als Bodendenkmal in die Denkmalliste der Gemeinde Herscheid eingetragen werden und damit Zeugnis geben von der großartigen Ingenieurtätigkeit von 1812.
Ich habe auf Anraten von Herrn Spata LVA NRW den Begriff Dreiecksmessung und Dreieckspunkt gewählt um eine klare Sprachregelung zur Kennzeichnung der Trigonometrischen Punkte der unterschiedlichen Epochen zu haben.
Herscheid im November 1988
Leider ist es bis heute nicht möglich gewesen, den Dreieckspunkt in die Liste der Bodendenkmale einzutragen, trotz eindeutiger Verpflichtung der Gemeinde als unterer Denkmalbehörde. Ich arbeite jedoch weiter daran.
Bodendenkmale
Die Zugehörigkeit zu den Bodendenkmalen hat der kürzlich verstorbene Leiter der Außenstelle des Museums für Archäologie, Herr Dr. Philip Hömberg, eindeutig bestätigt. Er hat den Dreieckspunkt Steinbring in der Gemeinde Rahrbach Kreis Olpe unter Denmalschutz gestellt. Ich selbst bin nach wie vor der Meinung, dass alle Punkte der Dreiecksmessung im Herzogtum Westfalen als Bodendenmale in die Denkmallisten der Gemeinden einzutragen sind. Die Weitsicht und der technische Standard der Ausführenden sind ein besonderes Vermächtnis für alle Geodäten.Insbesondere läßt sich durch das Vorhandensein der Vermarkungen Aussagen über die Genauigkeit der Winkelmessungen treffen.