Die Nordhelle
ein Ort mit Vermessungstradition

von Hans Röcken, Herscheid

Die Nordhelle bei Herscheid (663m ü. NN) ist die höchste Erhebung des Märkischen Kreises. Von alters her wurden die Menschen von besonders hohen Bergen oder anderen Naturerscheinungen in ihren Bann gezogen. Schon in der Bronzezeit haben die Menschen diesen Berg verehrt, was durch die Anlage von Gräbern auf seiner Höhe zum Ausdruck kam. Die dort bestatteten Menschen sollten einen weiten Blick über ihre Heimat haben. Bei Bauarbeiten wurde 1936 ein Bronzebeil gefunden, das heute im Museum auf der Burg Altena aufbewahrt wird. Der zugehörige Grabhügel dürfte unerkannt den Bauarbeiten zum Opfer gefallen sein.
Dreiecksmessungen
Erste Anwendungen einer Dreiecksmessung gehen auf den Holländer Snellius zurück der 1617 eine Triangulation ausführte.
Frankreich übernahm danach eine Vormachtstellung. Hier sind besonders die Arbeiten einer Gradmessung zwischen Barcelona und Dünkirchen zu nennen, die der Bestimmung der Erde dienen sollte und in der Festlegung des Metermaßes (Urmeters) gipfelten.
Im hiesigen Raum dauerte es bis 1789, ehe der Schwelmer Pastor Müller (1751-1808) für die Anfertigung einer Karte der Grafschaft Mark ein Dreiecksnetz legte. Dabei wurde auf der Nordhelle erstmals ein Signal aufgebaut um Winkelmessungen dorthin zu ermöglichen.
Neben dem Wunsch der Militärs nach genauen Karten, war die gerechte Verteilung der Steuern und Kriegslasten durch eine Neuordnung des Katasters, nach französischen Vorbild, die Triebfeder zu weiteren Dreiecksmessung im Herzogtum Westfalen.

Aus diesem Grund wurde 1809 der Astronom Eckhardt (1784-1866) von der großherzoglich-hessischen Regierung mit der Katasteraufnahme im Herzogtum Westfalen betraut. Als Grundlage für die Detailaufnahme, für eine Gradmessung, sowie für die Herstellung eines Kartenwerkes plante er ein Dreiecksnetz (Abb. 1), das von Darmstadt bis Lippstadt reichte. In Darmstadt war 1808 eine Basis von 6570m gemessen worden. Die Basis lag in der Verbindung der Kirchtürme Darmstadt und Griesheim und sollte den Maßstab des Netzes liefern. Die Längen der Dreiecksseiten sollten durch Netzvergrößerung davon abgeleitet werden. Da die Dreiecksseiten des Öfteren mehr als 40 km maßen, vervielfältigten sich die Fehler der Basismessung entsprechend.
Auf der Nordhelle waren 1812 wieder Geometer zu beobachten, die Winkel für diese Netz, zunächst provisorisch, beobachteten. Leider waren die Messungen nicht besonders sorgfältig gemacht worden, sodass im Herbst 1813 nachgemessen werden musste. Für alle Punkte wurden Koordinaten berechnet. Bezugspunkt war die Stadtkirche in Darmstadt.
Als 1815/16 nach der französischen Herrschaft Napoleons das Herzogtum Westfalen mit der Grafschaft Mark zum preußischen Regierungsbezirk Arnsberg zusammengeschlossen worden waren, entschloss man sich das wenig genaue Westfälische Netz I.Ordnung von 1812 zu überarbeiten. 1817 wurden die erforderlichen Winkelmessungen durchgeführt. Die Dreieckspunkte wurden sämtlich durch Marksteine kenntlich gemacht.
Für die Detailarbeiten müssen die Dreiecke I.Ordnung durch kleinere Dreiecke weiter unterteilt werden. Hierbei sind die Dreiecksseiten dann je nach den örtlichen Verhältnissen zwischen 1 und 10 km lang, dies sind Punkte der II.Ordnung.
In der Zeit von 1812 bis 1816 ist unter der Leitung von Regierungsrat Eckhardt neben den Arbeiten im Netz I.Ordnung ein Netz II.Ordnung (Abb. 2) festgelegt und gemessen worden. Um das Netz günstig zu strukturieren, fand vor der Festlegung der Dreieckspunkte eine sorgfältige Erkundung statt.
 
Abb.1: Dreiecksnetz I. Ordnung in Oberhessen und
im Herzogtum Westfalen 1810/12 (Schmidt 1960) modifiziert.
Weitsicht
Die besondere Leistung von Eckhardt besteht darin, dass er sämtliche Dreieckspunkte für den späteren Gebrauch gesichert hat. In flachen Gruben sind Pflasterungen von 0,7m x 0,7m aus Feldsteinen angelegt worden.
In der Mitte der Pflasterungen sind Platten von 0,2m x 0,2m x 0,15m eingebracht worden, in deren Mitte sich ein Bohrloch von 0,03m Durchmesser befindet.
Nach den Winkelmessungen 1812-1816 wurden die Gruben zugeschüttet, um die Punkte vor Zerstörung zu bewahren. Erst 1817, im Zuge der Überarbeitung des Dreiecksnetzes, wurden zusätzlich zu den unterirdischen Vermarkungen Marksteine gesetzt.
Wie sich später gezeigt hat, sind nicht alle unterirdischen Vermarkungen aufgefunden worden. Marksteine wurden an die vermutete Stelle gesetzt.
 
Abb.2: Netz II.Ordnung im Bereich Nordhelle
(in blau: bisher gefundene TP's)
Abb.3: Auszug aus dem Register der Winkelmessung
auf der Nordhelle im Netz II.Ordnung
Winkelmessgerät (Theodolit)
Die Kreisteilung des Theodoliten (Abb.4) betrug 400 Grad bei dezimaler Unterteilung. Damit ließen sich die Winkel einfacher rechnen als bei einer Kreisteilung mit 360 Grad, 60 Minuten und 60 Sekunden. Rechenfehler wurden damit ebenfalls leichter vermieden.
Eines der bei dieser Dreiecksmessung verwendeten Instrumente befand sich 1913 noch in Minden. Es sind daher einige Details bekannt:
Kreisdurchmesser: 19,5 cm
Fernrohrvergrößerung: 5 fach
Nonien: 4
Kreisteilung: 400 Grad
Das Prinzip des Nonius werden viele Leser von einer Schieblehre kennen. Der Kreis war in 800 Teile geteilt. Mit Hilfe des Nonius ließen sich 25 Sekunden ablesen. Die unvermeidlichen Teilungsfehler wurden durch die Ablesung der vier Nonien kompensiert. Die Ablese-Genauigkeit war nicht ausreichend, bewirken z. Bsp. 25 Sekunden auf 10km eine seitliche Abweichung von 0,4m.
Die Instrumente hatten deshalb eine besondere Vorrichtung, die es möglich machte, den Winkel mechanisch zu addieren. Diese Art der Messung wurde Repetitionsmessung genannt. Auf der Nordhelle hat man die Winkel durch 10fache Repetition ermittelt.

Tolle Meßgenauigkeit
Aus den Protokollen der Winkelmessungen ließen sich Genauigkeiten ableiten, die der Verfasser nicht erwartet hatte und die die Hochachtung vor den Altvorderen enorm steigen ließ. Mit diesen alten Meßergebnissen war die Voraussetzung zu einer Neuberechnung der gesamten Dreiecksmessung gegeben. Glücklicherweise waren bei späteren Triangulationen einige Marksteine im Gauß-Krüger-System bestimmt worden, die als Stützpunkte genutzt werden konnten.
Abb.4:Theodolit von Rößler (Darmstadt)
der für die Messung konstruiert wurde.
 


Stunde der Wahrheit
Am 6.4.1988, rd. 175 Jahre nach den o.g. Ereignissen, kam nun der spannende Moment, der zeigen sollte, ob sich noch Spuren der Vermessungstätigkeit auf dem Dreieckspunkt "Nordhelle II" erhalten hatten.
Mit dem heutigen Trigonometrischen Punkt 1. Ordnung "Nordhelle" als Ausgangspunkt, wurde die Stelle im Gelände markiert, wo der Punkt nach Berechnungen des Verfassers stehen müsste. Augenscheinlich war kein Hinweis zu finden, also war Grabungstätigkeit angesagt.
In ca. 70cm unterhalb der Geländeoberfläche stieß der Verfasser dann auf die alte Pflasterung (Abb.5, 6). Da keine senkrechten Plattenbegrenzungssteine vorhanden waren, muss es sich um eine Unterplasterung handeln, die bei später untersuchten Punkten öfter zu konstatieren waren. Damit ließ sich der Dreieckspunkt "Nordhelle II" bis auf wenige Zentimeter Unsicherheit rekonstruieren. Der Verfasser ließ eine Platte herstellen, die mit der Jahreszahl 1988 versehen war und neu in die Pflasterung eingesetzt wurde.

Abb.5: Pflasterung aus Feldsteinen mit eingesetzter Platte
Abb.6: Systemskizze des Punktaufbaus der TP's von 1810/12
Abb.7: Pfeiler und Platte I. Ordnung

Nachdem das Herzogtum Westfalen 1815 an Preußen gefallen war, wurde im Jahre 1829 in Plettenberg und 1830 in Herscheid eine Triangulation III. und IV. Ordnung für die Katasterurvermessung durchgeführt. Die meisten der Randpunkte der Triangulation in Herzogtum Westfalen wurden als Fixpunkte angehalten.
1881 wurde im Zuge einer Katastertriangulation im Regierungsbezirk Arnsberg auf der Nordhelle ein neuer TP bestimmt. Er war durch einen Pfeiler mit darunterliegender Platte gekennzeichnet.
In den Jahren 1887-1894 führte die Königlich Preußische Landesaufnahme eine umfangreiche Neutriangulation im Gebiet des Sauerlandes durch. Die Arbeiten waren in drei Hauptaufgaben unterteilt:
- Auswahl der Punkte
- Bau der Signale zum Zwecke der Beobachtung
- Winkelmessungen
In den Jahren 1887 und 1888 untersuchte der legendäre Hauptmann Bendemann die Punkte auf ihre Tauglichkeit. 1887 fand er auf dem TP von 1881 ein sehr beschädigtes Katastersignal vor. Der TP von 1881 wurde ein Punkt der I. Ordnung. Die vorhandene Vermarkung wurde 1890 in eine Festlegung nach Abb.7 geändert und das Signal (Abb.8) erbaut.
In den Jahren 1893 /1894 wurden die Winkelmessungen durchgeführt.
Das Signal wurde vom SGV als Aussichtsturm genutzt. 1899 wurde es vom SGV für 20 Mark gekauft und fiel 1904 den Dezemberstürmen zum Opfer. Dieses Vermessungssignal kann mit Fug und Recht als Vorläufer des Kolb-Turmes angesehen werden.
Abb.8:Erdbeerbowlenausflug der SGV-Abteilung Herscheid 26.Juli 1903 zum Signalturm der Landesvermessung.

Im Jahre 1913 wurde auf der Nordhelle der Robert-Kolb-Turm errichtet. Mit einer aufwändigen Sanierung (2010/2011) soll das SGV Wahrzeichen auch noch den 200. Geburtstag schaffen.
Mit einem Bürgerfest am 26. Juni 2011 wurde der Turm wieder für die Öffentlichkeit freigegeben.

100 Jahre Robert-Kolb-Turm – 200 Jahre Großherzogliche Hessische Triangulation:

Mit einer Replika des verloren gegangenen Pfeilers wird diese großartige Ingenieurleistung gewürdigt. Dank an den SGV-Herscheid und die Gemeinde Herscheid für die großartige Unterstützung.

Steinmetzmeister Henning Kober legt letzte Hand an.
Hinweistafel aufgestellt.
Robert-Kolb-Turm 15.Juni 2011